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Der Beginn einer
Freundschaft
Leon kniete im staubigen Sand und seine rechte
Hand steckte in einem Sandhügel. Er war nur noch
wenige Zentimeter von der anderen Seite des
Hügels entfernt als mit einem mal der Sand
nachgab und der Tunnel in sich zusammenstürzte.
Vielleicht lag es an der Sonne, die den Sand
getrocknet hatte, vielleicht an seinem eigenen
Unvermögen. Leon war es egal. Er hielt nur kurz
inne bevor er mit großer Ernsthaftigkeit einen
neuen Versuch startete. Seine kurzen blonden
Haare und sein Gesicht waren bereits völlig
eingestaubt. In jeder Ritze seines T-Shirts,
seiner kurzen Hose und vor allem in seinen
Sandalen fand sich Sand. Er saß da, nahe an
einer kleinen Mauer, die aus dem Sand
herausragte, und träumte gemütlich vor sich
hin. Um ihn herum war nicht allzu viel los. Es
war später Nachmittag und die meisten Kinder
hatten den Spielplatz bereits verlassen. Leon
freute sich, dass er endlich seine Ruhe hatte.
Nur zwei Mädchen, die sich bis aufs Haar
glichen, schaukelten noch um die Wette. Leon nahm
sie gar nicht wahr. Auch seine Mutter und die
Mutter der beiden Mädchen registrierte er nicht.
Sie saßen auf den Bänken am Rand des
Spielplatzes, der ringsum von Bäumen eingerahmt
wurde. Ansonsten herrschte Ruhe. Die Rutsche lag
verlassen, genau wie die Wippe und auch über die
große Wiese tobte kein Kind mehr.
Plötzlich wurde diese Stille jedoch jäh
unterbrochen, als Max, ein kleiner Junge mit
zersaustem dunklen Haar auf den Spielplatz
stürmte und direkt neben Leon zum Stehen kam.
Leon betrachtete ihn argwöhnisch. Das T-Shirt,
das halb aus der Hose rausguckte, die
durchgetretenen Turnschuhe, den aufgeschlagenen
Ellebogen, die Schokoreste am Mund. Leon fühlte
sich verunsichert und wollte wieder für sich
allein sein, um sich besser auf seinen Tunnelbau
konzentrieren zu können. Max jedoch fing an mit
Leon zu reden: "Was machst du da?",
fragte er Leon. Dieser antwortete nicht und
hoffte, dass Max so die Interesse an ihm verlor.
Schon oft war er so andere Kinder losgeworden und
er war gerne für sich allein. Doch Max redete
weiter: "Warte, ich kann dir helfen. Ich bin
ein Meister im Tunnel bauen. Du baust doch einen
Tunnel?" Schon machte Max sich ans Werk und
vergrub seine Hand in dem Sandhaufen, den Leon
eben mit Mühe wieder aufgerichtet hatte. Leon
aber wollte keine Hilfe und so stand er ohne ein
Wort auf und beschloss sich wieder zu seiner
Mutter zu gesellen. Max aber zögerte nicht
lange: "Wo willst du hin?", rief er
Leon hinterher und folgte ihm ohne eine Antwort
abzuwarten. Dies wäre auch nicht sinnvoll
gewesen, denn Leon hätte sowieso nicht
geantwortet. Als er merkte, dass Max ihm folgte,
wand er sich wieder von seiner Mutter ab. Er
wollte nicht, dass sie auch noch dachte Max wäre
ein Freund von ihm. Wo er sich aber auch hin
wandte, Max folgte ihm und redete ununterbrochen
auf ihn ein. Schließlich erklomm Leon die kleine
Mauer um sich dort am Rand demonstrativ von Max
abzuwenden.
Noch bevor er die Mauer aber ganz erklommen
hatte verlor er plötzlich das Gleichgewicht,
stürzte einen Meter tief in die Sandgrube und
schlug sich leicht das rechte Knie auf. Erst war
er zu geschockt um irgendeine Reaktion zu zeigen,
doch als er die Schmerzen am Knie spürte fing er
bitterlich an zu weinen. Da das nicht ausreichte
um die Aufmerksamkeit seiner Mutter zu erlangen,
fing er an nach ihr zu schreien. Sie aber nahm
auch jetzt noch nichts wahr, da sie sich gerade
in einen spannenden Krimi vertieft hatte. Leon
drehte sich nach Max um, doch der hatte sich
davon gemacht. Mit einem Mal fühlte sich Leon
schrecklich einsam. Zuvor wollte er für sich
allein sein, jetzt sehnte er sich nach einem
Menschen, der ihm Trost spendete. Nur langsam
beruhigte er sich wieder und behielt immer noch
ein trauriges Gesicht. Unverhofft tauchte dann
Max wieder hinter der Mauer auf, in seiner Hand
einen glänzenden, roten Apfel. Diesen streckte
er Leon entgegen. "Nimm ihn!", forderte
er Leon schließlich auf, nachdem dieser nicht
zugriff. Leon schaute weiterhin ungläubig.
Sollte der Apfel wirklich für ihn sein? Erst
nachdem er lange überlegte hatte, ergriff er ihn
zögernd und fing langsam an zu essen. Mit seinen
beiden kleinen Händen hielt er den Apfel dabei
vorsichtig fest. Max war währenddessen einen
Schritt zurück getreten und beobachtete Leon
aufmerksam. Endlich lächelte dieser und Max trat
wieder auf ihn zu und legte ihm tröstend einen
Arm um die Schulter. Leon spürte kein Verlangen
mehr Max von sich fernzuhalten, sondern war froh,
dass er in diesem Augenblick da war und ihm Trost
spendete. Vorsichtig legte er auch seinen Arm um
Max´ Schulter und für den restlichen Nachmittag
tobten die beiden Jungs gemeinsam über den
Spielplatz. Sie rutschten, schaukelten und
spielten Nachlauf. Am Ende des Nachmittags
setzten sie sich wieder gemeinsam in die
Sandgrube. Mit vereinten Kräften schafften sie
es nun einen Tunnel zu bauen. Beide lächelten
zufrieden und fühlten sich so müde, dass sie
nur Sekunden später Kopf an Kopf einschliefen.
© Lars Rindfleisch
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