Geschichten
       
       
 

Leben am Limit

Schon manchen Tag und schon manches Missgeschick habe ich verflucht, aber nichts davon konnte sich mit dem messen, was ich an jenem Tag erlebte.

Es begann mit heißem Kaffee, den ich über meinen rechten Fuß goss. Ich riss vor Schmerzen mein Bein hoch und kam ins Stolpern. Mein Kopf machte Bekanntschaft mit einem großen Kaktus auf dem Fensterbrett und mein linker Fuß knickte auf der Suche nach Halt zwischen Mülleimer und leeren Colaflaschen ab.
Vor dem Spiegel begutachtete ich den Schaden. Da stand ich also, Paul Köpke, 32, Informatiker. Meine Stirn bot eine lustige Maserung von roten Pünktchen und grüngelben Stacheln. Mein rechter Fuß war rot angelaufen, nur kleine Brandblasen durchbrachen das einheitliche Rot und mein linker Knöchel war zu einer blau-grünlichen Kugel angeschwollen.

Humpelnd und in Sandalen lief ich auf der Arbeit ein. Es war Winter und zu kalt für Sandalen, dennoch hatten meine Füße erfolgreich gegen anderes Schuhwerk rebelliert.
Ich arbeitete in einem kleinen Software Unternehmen und für gewöhnlich schauten meine Kollegen noch nicht mal von ihrem Computer auf wenn ich eintraf. Diesmal aber begann sich eine Welle des Lachens langsam von vorne nach Hinten auszubreiten. Mühsam kämpfte ich gegen den Wellengang an und erreichte die schützende Insel meines Schreibtisches.
Ich startete meinen Computer und rechnete schon damit, dass er mir gleich um die Ohren fliegt. Nichts geschah - er funktionierte und ich konnte mich an die Arbeit machen. Vielleicht ging es jetzt Schritt für Schritt aufwärts.
Nein. Mit einem großen Schritt tauchte mein Chef auf.
"Morgen Paul!" Ich schwieg und erwartete einen Kommentar zu meinem Aussehen. Doch es kam schlimmer.
"Du hast heute Abend ein Geschäftsessen mit einem möglichen Investor. Es geht um die Software, die du gerade entwickelst."
Die Software sollte mein großer Durchbruch werden. Aber ich hasste Geschäftsessen, im Smalltalk war ich eine Niete und an diesem Abend würde ich noch nicht mal optisch etwas hermachen.
"Kommst du auch mit?" Ich hoffte auf den Beistand meines Chefs.
"Geht leider nicht. Meine Freundin hat Geburtstag. Aber du machst das schon." Ich war nicht ganz so überzeugt davon.
"Um acht Uhr im Nassauer Hof." Mein Chef ging, dann drehte er sich noch mal um. "Ach ja, vielleicht solltest du da nicht in Sandalen aufkreuzen."

Der Nassauer Hof war eines der feinsten Lokale der Stadt. Die Sandalen hatte ich gegen schwarze Turnschuhe ausgetauscht und ich trug meinen einzigen Anzug. Auf dem Revers noch der Weinfleck von der letzten Firmenfeier. Ich betrat das Restaurant und ein Kellner führte mich zu einem Tisch an dem eine Frau saß.
Meine Gesprächspartnerin? Ich wurde nervös. Frauen gegenüber fühlte ich mich schon immer unterlegen. Ihre roten Haare hatte sie streng nach hinten gekämmt, aber über ihr hübsches Gesicht huschte ein Lächeln als sie mich begrüßte: "Guten Abend Herr Köpke! Hansen mein Name."
Mit meinem lädierten Gesicht fühlte ich mich minderwertig. Frau Hansen jedoch verlor kein Wort über mein Aussehen, was mich freute. Sie verlor aber auch sonst kein Wort, was mich verunsicherte.
"Äh, Ihre Firma möchte also in unsere neue Software investieren.", versuchte ich einen Ansatz. Frau Hansen aber schwieg weiter und plötzlich spürte ich ihre Füße an meinen Beinen. Wollte sie mich testen? Plötzlich stieß sie an meinen linken Knöchel und ich schrie vor Schmerzen. Auf einmal Schweigen im ganzen Restaurant, alle schauten mich an. Sie schienen auf meine Maserung im Gesicht zu starren und ich hatte das Gefühl als würden sie gleich alle anfangen zu lachen.
Panisch erhob ich mich und humpelte so schnell ich konnte Richtung Ausgang. Ich fühlte mich verfolgt von einer gnadenlosen Meute von Snobs und übersah meinen eigentlichen Feind - den Kellner, der sich in fieser Absicht einfach von mir über den Haufen rennen ließ. Ich stürzte und blieb liegen. Am Liebsten hätte ich geheult.

Als ich wieder aufschaute, hatte sich Frau Hansen zu mir herunter gebeugt. Sie half mir beim Aufstehen und führte mich nach draußen. "Das war mal ein Geschäftsessen." Sie lachte. "Sie sollten Komiker werden. Zuvor aber richten Sie Ihrem Chef bitte noch aus - wir investieren!"
Mit diesen Worten verabschiedete sich Frau Hansen und ich schaute ihr baff hinterher, dann drehte ich mich um und rannte gegen einen Laternenmast. Glücklich ging ich zu Boden - meine berufliche Zukunft war gesichert.

© Lars Rindfleisch

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