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Teil 3
Melissas Neugier aber war größer als ihre
Angst und sie zwängte sich durch das Tor, das
einen spaltweit geöffnet stand. Sie fand sich in
einem kleinen Waldstück wieder, dessen Boden
über und über mit Pflanzen zugewuchert war und
sie kam nur mühsam voran, bedacht darauf nicht
allzu viel Lärm zu erzeugen. Nachdem sie ein
Stück gelaufen war, drehte sie sich um und
konnte das Tor nicht mehr erkennen. Hoffentlich
verlaufe ich mich nicht, dachte sie, und wollte
schon umdrehen, da vernahm sie etwas tiefer im
Wald wiederholt ein Rascheln. Sie tastete sich
weiter voran, lief um den dicken Stamm einer
Eiche und zuckte zusammen. Wenige Meter vor ihr
stand Sarah und hielt einen Spaten in der Hand.
Melissa wich hastig zurück und versteckte sich
hinter der Eiche. Ihr Atem ging schnell und sie
musste sich für einen Moment an den Baum
anlehnen. Wieder etwas beruhigt lugte sie
vorsichtig am Stamm vorbei und konnte erkennen,
dass Sarah versuchte ein Loch zu graben. Nur
mühsam kam sie voran, da der Boden sehr hart
war. Einen Meter neben ihr lag der schwarze Sack.
Melissa verharrte auf ihrer Beobachterposition
und nach einigen endlos langen Minuten kam
endlich der große Moment auf den sie die ganze
Zeit gewartet hatte. Sarah legte die Schaufel
beiseite, griff nach dem schwarzen Sack und zog
die Schlaufe auf. Anschließend griff sie mit
beiden Händen hinein. Dann ging alles ganz
schnell.
Melissa sah was Sarah aus dem Sack holte und
stieß einen spitzen Schrei aus. Sarah schaute
auf. Melissa versuchte wegzulaufen. Sarah lief
ihr hinterher. Melissa stolperte. Sarah packte
Melissa am Rücken. Schließlich Stille.
"Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dir den
Sack aus dem Kopf schlagen?", zischte Sarah
Melissa an.
Melissa gab keine Antwort, noch nicht mal zu
einem Nicken war sie mehr fähig. Sarah hatte
Melissa direkt neben das gesetzt, was sie zuvor
aus dem schwarzen Sack herausgeholt hatte. Die
Leiche eines kleinen Hundes - ein
Terrier-Mischling. Sein Kopf war blutig.
"Bist du zufrieden? Jetzt weißt du was im
Sack war.", Sarah ergriff Melissas Kopf und
drehte ihn in Richtung des toten Körpers.
"Schau ihn dir genau an!"
"Was hast du mit ihm gemacht?" Melissas
Stimme klang schwach.
Der Regen wurde stärker und in der Ferne
donnerte es.
"Nichts. Er ist tot und ich beerdige ihn
hier." Sarah griff mit beiden Händen nach
der Hundeleiche und legte sie in das Loch.
"Warum hier?", fragte Melissa leise.
"Auf der Rettbergsaue waren Leo und ich
glücklich." Sarah zeigte auf den Hund.
"Die Villa ...", vernahm sich wieder
Melissas Stimmchen. Aber sie kam nicht dazu ihren
Satz zu vollenden.
"Ja ganz recht, die Villa." Sarah, die
begonnen hatte das Loch zuzuschütten wurde mit
einem Male ganz ruhig und hörte wieder auf zu
schaufeln. "Da habe ich gelebt und mit mir
Leo und meine große Schwester - das
Mauerblümchen. Ein Jahr nach ihrem Tod hat meine
Familie die Villa verkauft und ist in die Stadt
gezogen. Das Unglück aber verfolgte uns. Meine
Mutter verging einige Jahre nach unserem Umzug am
Kummer und starb. Nach ihrem Tod fing mein Vater
an sein Leid zu ertränken. Seit einem Jahr war
es so schlimm, dass ich ständig im Streit mit
ihm lag. Zuletzt letzte Nacht. Die
Auseinandersetzung eskalierte so, dass er Leo
stockbesoffen mit einer Bierflasche
erschlug." Sarah fing an zu weinen.
"Das heißt, du hast deinen Hund gar nicht
getötet?" Melissa hatte wieder etwas Mut
gefasst.
"Nein! Nie würde ich das tun!", schrie
Sarah.
Plötzlich blitzte es und fast ohne Verzögerung
erfolgte ein gewaltiger Donnerschlag. Dann fing
es an zu schütten.
"Verdammt!" Sarah sank auf die Knie
nieder und versenkte den Kopf zwischen ihren
Händen.
Melissa zuckte auch zusammen, aber nicht allein
des Donnerschlags wegen. Während des Blitzes
hatte sich die Umgebung aufgehellt und Melissa
hatte einige Meter entfernt eine fremde Gestalt
entdeckt. Diese kam nun langsam auf Sarah und
Melissa zu. Irgendetwas hielt sie in der Hand.
Auf einmal blitzte es erneut und Melissa erkannte
die Gestalt.
"Papa, nein!", schrie sie noch.
Doch es war zu spät, Steffen hatte bereits mit
der Bierflasche ausgeholt, die er in der Hand
hielt und ließ sie auf Sarah niederfahren. Im
letzten Moment aber erhob sich Sarah und Steffen
verfehlte sie. Seinen Schwung jedoch konnte er
nicht mehr bremsen und stolperte über das
Hundegrab. Bewusstlos blieb er liegen.
Melissa schluchzte als sie ihren Papa so leblos
daliegen sah. Sarah hingegen verfiel in einen
Weinkrampf.
"Nein!", schrie sie. "Reicht es
nicht, dass es zwei Tote gegeben hat?"
"Zwei Tote?", fragte Melissa und
schaute von ihrem Papa zu Sarah, die ihren Kopf
an einen Baum gelehnt hatte und heulte.
© Lars Rindfleisch
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